Walter Vitt – Laudatio

Zur Verleihung des Kölner Ehrentheaterpreises an die Machtwächter am 4. Dezember 2000 im Kölner MediaPark

Walter Vitt (Foto: Wikipedia)

Walter Vitt (Foto: Wikipedia)

Liebe Wiltrud Fischer, lieber Heinz Herrtrampf, lieber Wully Hoyer,

euer Laudator hat 3 Minuten. Das ist wenig, die Leistungen von 27 Programmen in fast 35 Jahren zu würdigen. Aber das sind – gemessen an einem Tagesschau-Beitrag in 1 Minute und 30 Sekunden – glatt hundert Prozent mehr. Und wenn ich etwas schneller spreche, sind es 103 bis 105 Prozent mehr.
Jetzt sind 30 Sekunden vorbei. Also das Ganze in 2 Minuten und 30 Sekunden.

Ich habe im Laufe der Jahrzehnte fast alle Programme der Machtwächter erlebt. Mit Bedacht wähle ich das Wort „erlebt“, denn von einem Theater-Besuch bei den Machtwächtern zu sprechen, wäre deplatziert. Ich möchte „erlebt“ noch steigern und „durchlebt“ sagen. In der Kölner Gertrudenstraße 24 dicht bei dicht zu sitzen und mit den Dreien da vorn erst „mitzugehen“, sich dann „mitreißen“ zu lassen und schließlich – auch musikalisch – „hingerissen“ zu sein, ist alles andere als ein Theater-Besuch.

Die Protagonisten nicht nur auf der Bühne zu wissen, sondern ihnen auch an der Kasse, an der Garderobe, als Platzanweiser, am Ausschank zu begegnen – das nenne ich Publikumsnähe, bei solchen Mit-Menschen bin ich nicht zu Besuch, da fühle ich mich aufgehoben, da bin ich, möchte ich ohne Übertreibung sagen, zu Hause. In der Gertrudenstraße 24 sitze ich auf einem imaginären Heimtrainer und lasse mir meine Lachmuskeln runderneuern.

Im Keller der Machtwächter finde ich mich auch intellektuell immer als Mensch wieder, als ein Mensch, der viele seiner meist ungeformten Einsichten in die Absurditäten der Gesellschaft wie auch in eigenes absurdes Handeln auf den erhellenden Punkt gebracht sieht – das alles ohne den drohenden Zeigefinger! Wiltrud Fischer wurde vorige Woche in einem Radio-Interview gefragt, ob Wut und Hass auf die Gesellschaft die Inspiration des Kabarett-Programms für sie seien. Ihre Antwort kam ganz persönlich: „In meinem Leben soll es das Wort Hass möglichst nicht geben“, sagte sie, Hass bringe Hass hervor, mit Hass lasse sich nichts verändern …

Liebe Wiltrud Fischer, ich glaube sogar, ihr handelt aus dem schieren Gegenteil des Hasses, ihr speist euer kabarettistisches Menü aus Liebe zu den Menschen und zur Gesellschaft, deshalb sitzen wir so gern an eurem Tisch, an dem heitere Aufklärung und auch Friedensstiftung die Speisen sind. Selbst für das schwierigste Problem, dem wir Männer uns seit 25 Jahren privat wie beruflich gegenüber sehen, selbst für das Problem der wirklichen Gleichberechtigung unserer Frauen, habt ihr eine derart schmackthaft zubereitete Menüfolge angerichtet, dass euer männliches Publikum in eurer Menschenliebe nicht nur Engagement für die Frauen, sondern auch immer noch ein bisschen Männerliebe erkannt hat. Das Programm hieß „Ihr schönster Tag“, es begann 1975 und wurde in 1.077 Vorstellungen gespielt, und nirgendwo habe ich gelesen, dass Männer es nicht besucht hätten. Auch hier kein Hass, sondern Aufklärung und zugleich Friedensstiftung.

Noch ein privates Wort an Wiltrud und Heinz zum Schluss: Ihr seid Durchhalter, obwohl ihr jetzt aussteigen wollt. Ihr habt als künstlerische Partner und als privates Paar durchgehalten. Das ist euer Erfolgsgeheimnis. Das hat es möglich gemacht, dass die Wärme, die von euch ausgeht, von eurem Publikum als wohlig empfunden wird.

Ihr dürft aussteigen – als künstlerische Partner jedenfalls …

2 Minuten 57, 2 Minuten 28, 2 Minuten 59, meine 3 Minuten sind abgelaufen. Ich danke und gratuliere euch.

Anmerkung: Walter Vitt ist ein deutscher Journalist, Kunstschriftsteller und Ausstellungskurator. Er initiierte in Köln ein fortlaufendes Mahnmal zur Bücherverbrennung. Außerdem ist er Ehrenmitglied des Internationalen Kunstkritikerverbandes.