Die Machtwächter schweigen
Ausriss aus der Zeitung Diario de Ibiza Diario de Ibiza, 6. September 2001
Von Petra Höntzsch
35 Jahre lang gaben Wiltrud Fischer und Heinz Herrtrampf, alias „Die Machtwächter“, in ihrem 140-sitzigen Kabaretttheater in der Gertrudenstraße 24 in Köln Normalbürgern wie Mächtigen die Möglichkeit, über die Geschehnisse in Heim, Gesellschaft, Nation und Welt zu sinnieren und von erkennend bis befreit zu lachen. Sie leuchteten sie in einer liebevoll bissigen Weise aus, die unter die Haut ging.
Dass die zwischenmenschlichen Beziehungen am meisten interessieren, zeigt der umwerfende Erfolg ihres Programms „Ihr schönster Tag“, das die Machtwächter 1.077 Mal aufführten und für das sie den Deutschen Kleinkunstpreis erhielten. Ihr Gesamtwerk, das 27 Programme mit Titeln wie „Ätzend“, „Patienten, wollt ihr ewig leben?“, „Holidays“, „Plastic Paradise“ oder „Spaßgesellschaft“ umfasst, brachte ihnen außerdem den Verdienstorden Nordrhein-Westfalens und den im letzten Jahr erstmals vergebenen Ehren-Theaterpreis der Stadt Köln ein.
Sie waren eine Institution, die sich keiner aus Köln wegdenken konnte, obwohl Heinz Herrtrampf, der männliche Teil des Machtwächter-Duos der Meinung ist: „Die sind einmal im Jahr zu uns gekommen, um zu kontrollieren, ob wir alle noch der gleichen Meinung sind.“ Dass er damit stark untertreibt, zeigt die Reaktion des Publikums auf die Ankündigung, dass die Machtwächter ihr Theater schließen.
Den Bericht eines TÜV-Inspektors, der die Elektroanlagen imTheater beanstandete, nutzten sie für den Absprung, den sie, auf Hochtouren und vor Ideen sprühend, wie sie sind, sonst nicht gewagt hätten, obwohl vor allem Heinz Herrtrampf mit seinen 66 Jahren – wer glaubt das – keine Lust hatte, seinen letzten Atemzug auf der Bühne zu tun: „Manche Schauspieler wünschen sich ja, auf der Bühne tot umzufallen – ich nicht.“ Deshalb beschlossen sie, den Umbau, den ein Fachmann mit den Worten „Danach werden Sie Ihr Theater nicht wiedererkennen“ umschrieb, nicht auf sich zu nehmen, obgleich der Eigentümer die Kosten übernehmen wollte. „Im März letzten Jahres hatten wir unsere 35 Jahre voll, und das befriedigte unseren Ehrgeiz“, erklärt Heinz Herrtrampf.
Dass die beiden Schaupieler mit einer ernsthafen Ausbildung (er studierte bei Helene Weigel und an der dem Theater „Der Keller“ angeschlossenen Schauspielschule in Köln, wo er die damals dort auch studierende und auftretende Arzttochter Wiltrud Fischer traf) mit ihrem 1966 gegründeten Kabarett solch einen Erfolg hatten, dass Thomas Linden von der „Kölner Kultur schrieb: „Neben der Münchner Lach- und Schießgesellschaft und den Berliner Stachelschweinen zählte das Kölner Ehepaar Fischer und Herrtrampf zu den Säulen des politischen Kabaretts in Deutschland“, kann nicht nur auf „die Lust am gemeinsamen Spiel, die sie bis heute eint“ (Insel, Nr. 21), ihr politisches Engagement, ihre Professionalität und ihr Interesse und Verständnis für alle menschlichen Schwächen zurückzuführen sein.
Das zeigte auch nicht nur ihr letztes Programm „Die Spaßgesellschaft“. „Ob Talkshow-Schwachsinn oder Erlebniskreuzfahrten für Politiker, ob Millenniums-Zauber und der damit verbundene ‚Cero-Cero-Computercrash‘, ob ehrgeizige Turbomütter mit dem ‚Hilmar-Kopper-Blick‘, die ihre Kinder zu Höchstleistungen treiben, ob Schröder und der Holzmann-Effekt („da ist dem Kanzler ein bisschen Stallgeruch in die Armanihose gefallen“) oder einfach nur die umweltfreundliche Entsorgungen der toten Katze – atemlos spurtet das Duo durch die modernen Zeiten. Sie treffen ins Herz der Spaßgesellschaft und ziehen ihr manchen faulen Zahn“, schreibt dazu Ingeborg Prior in der „Welt am Sonntag“.
Wie traumatisch der Abschied von den Machtwächtern war, offenbaren viele Briefe und Kritiken, die nach der letzten Vorstellung auftauchten. „Es war genau 11.11 Uhr Samstagnacht, als ein Stück Kabarett-Geschichte zu Ende ging“, schreibt zum Beispiel Edgar Franzmann. Der letzte Applaus für Wiltrud Fischer und Heinz Herrtrampf erklang, die Machtwächter verließen nach 35 Jahren endgültig ihre Bühne in der Gertrudenstraße 24.
Zur letzten Vorstellung hatten sich überwiegend Fans und Freunde des Paars eingefunden: die Ex-Minister Jürgen Schmude (SPD) und Gerhart Baum (FDP), Kabarettist Jochen Busse, „Senftöpfchen“-Prinzipalin Alexandra Kassen, Kulturdezernentin Marie Hüllenkremer, Kulturauschuss-Vorsitzender Franz-Josef Knieps (CDU), Schauspieler, Journalisten. Der letzte Beifall wurde „zur standing ovation“.
Während im Foyer und im Treppenhaus mit Lachs- und Käseschnittchen, Sekt und Kölsch gefeiert wurde, füllte sich die verlassene Bühne mit Dutzenden Blumensträußen und vielen einzelnen roten Rosen, ein Arrangement fast wie in einer Friedhofskapelle. „Ich fühle mich ein wenig wie auf meiner Beerdigung“, hatte Wiltrud Fischer vor der Vorstellung leiste gesagt. „Aber ich will, dass heute richtig gefeiert wird.“
Tatsächlich geriet der Abend auch vorwiegend heiter. Wiltrud Fischer und Heinz Herrtrampf attackierten in ihrem 27. und letzten Programm bös und bissig wie immer die Spaßgesellschaft zwischen Internet und Talkshow-Gequassel. Und damit keiner auf die Idee käme, sie hätten ihren Job nicht bis zur letzten Minute ernst genommen, war das Ganze gespickt mit topaktuellen Spitzen zu BSE oder Nationalstolzdebatten.
Den Job an der Garderobe und an der Kasse erledigten die beiden selbstverständlich auch am letzten Abend gewissenhaft wie 35 Jahre lang zuvor. Und an der Bar zum letzten Mal Machtwächter-Komponist Wully Hoyer, der Dritte im Bunde, der künftig „nur“ noch seinem Hauptberuf an der Musikhochschule nachgehen wird.
Auch Walter Vitt, Präsident der Deutschen Kritikersektion, der zur Verleihung des Kölner Theaterehrenpreises an die Machtwächter am 4.12.2000 eine Laudatio vortrug, fasste sein Bedauern über ihren Abgang in bewegende Worte:
„Ich habe im Laufe der Jahrzehnte fast alle Programme der Machtwächter erlebt. Mit Bedacht wähle ich das Wort ‚erlebt‘, denn von einem Theater-Besuch bei den Machtwächtern zu sprechen, wäre deplatziert. Ich möchte ‚erlebt‘ noch steigern und ‚durchlebt‘ sagen. In der Kölner Gertrudenstraße 24 dicht bei dicht zu sitzen und mit den Dreien da vorn erst ‚mitzugehen‘, sich dann ‚mitreißen‘ zu lassen und schließlich – auch musikalisch – ‚hingerissen‘ zu sein, ist alles andere als ein Theater-Besuch.
Die Protagonisten nicht nur auf der Bühne zu wissen, sondern ihnen auch an der Kasse, an der Garderobe, als Platzanweiser, am Ausschank zu begegnen – das nenne ich Publikumsnähe, bei solchen Mit-Menschen bin ich nicht zu Besuch, da fühle ich mich aufgehoben, da bin ich, möchte ich ohne Übertreibung sagen, zu Hause. In der Gertrudenstraße 24 sitze ich auf einem imaginären Heimtrainer und lasse mir meine Lachmuskeln runderneuern.
Im Keller der Machtwächter finde ich mich auch intellektuell immer als Mensch wieder, als ein Mensch, der viele seiner meist ungeformten Einsichten in die Absurditäten der Gesellschaft wie auch in eigenes absurdes Handeln auf den erhellenden Punkt gebracht sieht – das alles ohne den drohenden Zeigefinger! Wiltrud Fischer wurde vorige Woche in einem Radio-Interview gefragt, ob Wut und Hass auf die Gesellschaft die Inspiration des Kabarett-Programms für sie seien. Ihre Antwort kam ganz persönlich: ‚In meinem Leben soll es das Wort Hass möglichst nicht geben‘, sagte sie, Hass bringe Hass hervor, mit Hass lasse sich nichts verändern …
Liebe Wiltrud Fischer, ich glaube sogar, ihr handelt aus dem schieren Gegenteil des Hasses, ihr speist euer kabarettistisches Menü aus Liebe zu den Menschen und zur Gesellschaft, deshalb sitzen wir so gern an eurem Tisch, an dem heitere Aufklärung und auch Friedensstiftung die Speisen sind. Selbst für das schwierigste Problem, dem wir Männer uns seit 25 Jahren privat wie beruflich gegenüber sehen, selbst für das Problem der wirklichen Gleichberechtigung unserer Frauen, habt ihr eine derart schmackthaft zubereitete Menüfolge angerichtet, dass euer männliches Publikum in eurer Menschenliebe nicht nur Engagement für die Frauen, sondern auch immer noch ein bisschen Männerliebe erkannt hat. Das Programm hieß ‚Ihr schönster Tag‘, es begann 1975 und wurde in 1.077 Vorstellungen gespielt, und nirgendwo habe ich gelesen, dass Männer es nicht besucht hätten. Auch hier kein Hass, sondern Aufklärung und zugleich Friedensstiftung.
Noch ein privates Wort an Wiltrud und Heinz zum Schluss: Ihr seid Durchhalter, obwohl ihr jetzt aussteigen wollt. Ihr habt als künstlerische Partner und als privates Paar durchgehalten. Das ist euer Erfolgsgeheimnis. Das hat es möglich gemacht, dass die Wärme, die von euch ausgeht, von eurem Publikum als wohlig empfunden wird.“